Einsatz von Sprach- und Kulturmittelnden in den Kreisen Gütersloh und Warendorf zur Information und Aufklärung der Tönnies-Beschäftigten aus Osteuropa. Ziel ist, die Landkreise in dieser Ausnahmesituation zu unterstützen, indem bikup kurzfristig den Landkreisen, die für die Koordination der Dolmetscheinsätze verantwortlich sind, qualifizierte Kräfte zur Verfügung stellt.
Seit es Mitte Juni 2020 im Schlachthof des fleischverarbeitenden Betriebs Tönnies in Rheda-Wiedenbrück zu einem Corona-Ausbruch mit mehr als 1.500 Infizierten gekommen ist, befinden sich die Kreise Gütersloh und Warendorf im Krisenmodus. Es gilt, eine weitere Verbreitung des Virus zu verhindern und insbesondere angeordnete Quarantänemaßnahmen erträglich zu gestalten. Eine wichtige Aufgabe besteht in diesem Zusammenhang darin, die bei Tönnies Beschäftigten, überwiegend ausländische Werkvertrags- oder Leiharbeiter:innen aus Osteuropa, über die Situation aufzuklären, sie mit relevanten Informationen zu versorgen und sie in ihren Fragen und Anliegen zu unterstützen. Da die meisten der deutschen Sprache nicht mächtig sind, setzen die zuständigen Landkreise Muttersprachler:innen ein, die vor Ort tätige Fachkräfte bei ihrer Aufklärungsarbeit begleiten. Zusätzlich unterstützt die bikup gemeinnützige GmbH durch Vermittlung von Sprach- und Kulturmittelnden die Arbeit vor Ort.
Der Einsatz der bikup gemeinnützigen GmbH in den Kreisen Gütersloh und Warendorf geht auf eine Anfrage des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS) Ende Juni zurück. Ziel ist, die Landkreise in dieser Ausnahmesituation zu unterstützen, indem bikup als erfahrener, sozialer Träger den Landkreisen, die für die Koordination der Dolmetscheinsätze verantwortlich sind, zeitnah qualifizierte Kräfte zur Verfügung stellt, damit ausreichende Kapazitäten für adäquate Dolmetschleistungen gewährleistet sind. Darüber hinaus soll dem hohen Bedarf an soziokultureller Vermittlung Rechnung getragen werden, um gerade in Quarantänesituationen Eskalationen entgegenzuwirken.
Dafür kann der Kölner Träger auf den landesweiten bikup Sprachmittlerpool NRW zugreifen. Die über den Sprachmittlerpool eingesetzten zertifizierte Sprach- und Integrationsmittler:innen sind geschult, in Krisensituationen klar und deeskalierend zu kommunizieren. Der Bedarf an rumänisch, bulgarisch und polnisch sprechenden Dolmetschenden ist so hoch, dass bikup weitere qualifizierte Kräfte für den Einsatz vor Ort gewinnt, um kurzfristig bedarfsdeckend tätig zu werden und spontan und flexibel reagieren zu können. So bietet bikup ausgewählten studierten und beeidigten Dolmetscher:innen sowie vereinzelt auch sprachmittelnden Akademiker:innen ohne spezifische Dolmetsch-Qualifikationen Kurzschulungen an, um diese, sofern sie den bikup-Qualitätsstandards entsprechen, anschließend ebenfalls vor Ort einzusetzen. Die Kurzschulung für nicht zertifizierte Sprach- und Kulturmittler:innen umfasst insbesondere eine Einführung in die Technik der kultursensiblen Vermittlung. Zudem werden alle eingesetzten Dolmetschenden auf ihre anstehenden Aufgaben vorbereitet.
Ein solch kurzfristiger und flächendeckender Einsatz stellt alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Auf die zahlreichen und täglich wachsenden Anfragen der Kreise Gütersloh und Warendorf muss spontan und flexibel reagiert werden. Der Einsatz professioneller Mittler:innen verlangt eine angemessene Vorbereitung, Begleitung und Betreuung. Hierzu gehört unter anderem die Bereitstellung notwendiger und vollständiger Adresslisten und Daten durch das Tönnies-Unternehmen und die Subunternehmen. Entsprechende Abläufe müssen zwischen den Beteiligten abgestimmt werden. Dies alles erfordert auch viel Einsatz im Hintergrund.
Seit Ende Juni sind die Sprach- und Kulturmittelnden in unterschiedlichsten Teams mit der Bundeswehr, der Polizei, mit Verwaltungskräften oder Fachkräften aus dem sozialen Bereich in Schutzkleidung unterwegs, um diverse Einrichtungen aufzusuchen, Abstriche zu nehmen und über Quarantänemaßnahmen zu informieren. Vor jedem Einsatz findet eine Einweisung durch die Verantwortlichen vor Ort statt.
Die Kernaufgabe der Sprach- und Kulturmittelnden besteht darin, die Fachkräfte dabei zu unterstützen, über die Notwendigkeit und den Umgang mit Quarantänemaßnahmen aufzuklären und den Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass ihre Ängsten und Sorgen ernstgenommen und sie damit nicht allein gelassen werden. Durch Informationsfluss und soziokulturelle Vermittlung sollen Ängste unter den betroffenen Tönnies-Beschäftigten abgebaut und Vertrauen geschaffen werden.
Viele Betroffene haben existentielle Nöte. Seit Wochen befinden sie sich in Quarantäne – ohne Informationen, ohne Versorgung, ohne Unterstützung. Tönnies habe sie im Ungewissen über die Fortzahlung ihres Gehaltes gelassen, klagen einige. Andere wissen nicht, wie sie die Miete zahlen können, wo Lebensmittel und Hygieneartikel herkommen sollen oder an wen sie sich mit ihren offenen Fragen wenden können. Über eine zentrale Telefonnummer, die sie erhalten hätten, sei entweder niemand erreichbar oder sie erhielten die Antwort „da können wir auch nix machen.“
Besonders heikel sei es, die unterschiedlichsten Quarantänebestimmungen zu übermitteln, meint Olga Höll, studierte und allgemein beeidigte Dolmetscherin. Warum muss jemand erneut zwei Wochen in Quarantäne, obwohl er schon drei Mal negativ getestet wurde?
Aber auch andere Fragen drängen: Wo bleiben die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für Arbeitnehmer:innen, die nicht bei Tönnies beschäftigt sind, aber aufgrund der beengten Wohnverhältnisse mit positiv Getesteten unter Quarantäne stehen? Es gelingt den eingesetzten Mittler:innen in dieser Situation durch professionelle Sprachmittlung und soziokulturelle Vermittlung, die erhitzten Gemüter sowohl auf Seiten der Betroffenen wie teilweise auch auf Seiten der Fachkräfte zu beruhigen, um offene Fragen einer sachlichen Lösung zuführen zu können. Dies entspannt die Einsatzsituation erheblich.
„Die Begleitung der Fachkräfte durch Sprach- und Integrationsmittler war ein wichtiger Aspekt, um das Vertrauen der Leute zu gewinnen. Neben der Sprache war die soziokulturelle Vermittlung sehr wichtig und die Fähigkeit, den Menschen wirklich zuzuhören. Dadurch konnten sie sich öffnen. Sie waren sehr dankbar dafür, sich einmal auszusprechen, ihre Sorgen mitzuteilen und das Gefühl zu haben, das man sie versteht,“ betont Elena Dombi, zertifizierte Sprach- und Integrationsmittlerin.
Hier kommen Sprach- und Kulturmittelnde zu Wort.
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